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26.03.2021

Physiotherapie im Flüchtlingslager Moria: Physisches und psychisches Leid lindern

Ole L. ist Physiotherapeut und studiert Medizin. Zurzeit unterstützt er im Flüchtlingslager Moria, auf der griechischen Insel Lesbos die Organisation „Earth Medicine“ und behandelt als Physiotherapeut Flüchtlinge aus dem Camp. Im Interview erzählt er von Begegnungen mit Patient*innen, der besonderen Rolle von Vertrauen und was man mit physiotherapeutischer Behandlung erreichen kann.

 

Ole, wie bist Du zu Deiner Tätigkeit als Freiwilliger gekommen?

Meine Freundin arbeitet als Zahnärztin in Mainz nebenberuflich für die Organisation „Armut & Gesundheit in Deutschland“. Die wiederum haben auf ihrer Webseite Werbung für die Organisation „Earth Medicine“ gemacht. Das hat mich interessiert. Daher habe ich mich beworben. Dann hat sich Fabiola, die Projektleiterin, bei mir gemeldet und meinem Einsatz stand nichts mehr im Weg.

 

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Dir aus?

Nach dem Frühstück fahren Fabiola und ich ins Camp und bieten den Menschen aus dem Camp unsere Hilfe an. Da Fabiola und ihr Team schon bekannt sind und viele ihr sehr vertrauen, kommen täglich Menschen zu uns mit Anfragen zu allen möglichen medizinischen und persönlichen Problemen. Dabei helfen uns drei Frauen aus Afghanistan, die für uns aus dem Englischen in Dari (Afghanische Sprache) und Arabisch übersetzen. Wir haben feste Zeiten, in denen die Patient*innen behandelt werden. Zwischendurch kümmern wir uns um kleine Verletzungen oder auch psychische und familiäre Probleme, nehmen neue Patient*innen auf oder vergeben Termine.

 

Welche Patient*innen kommen zu Dir?

Die meisten Geflüchteten kommen aus Afghanistan, Syrien und Somalia. Patient*innen aus Kuwait, Pakistan, Iran und Gambia waren auch schon dabei. Ich behandele täglich Wunden und Narben, die durch Bomben- oder Granatsplitter verursacht wurden. Einige Patient*innen haben Krankheiten, die es in Deutschland nur noch selten gibt. So therapiere ich zum Beispiel drei Patienten mit orthopädischen Problemen nach Polioerkrankung. Viele Bewohner*innen des Camps kommen mit Rücken- und Kopfschmerzen zu uns. Mit das wichtigste ist, Vertrauen aufzubauen. Dann erfährt man, was sie bei ihrer Flucht oder zu Hause oft Furchtbares erlebt haben. Wenn sie erzählen, sich einem anvertrauen, lassen die Schmerzen meist etwas nach. Psychosomatische Schmerzen nach Traumata sind hier leider alltäglich.

 

Warum ist diese Arbeit so wichtig?

Es ist beeindruckend, was man mit physiotherapeutischer Behandlung erreichen kann. Das geht weit über eine normale Therapie hinaus. Die Menschen hier machen sich oft große Sorgen. Teilweise warten sie bereits seit zwei Jahre auf ihren Pass, um das Camp endlich verlassen zu können. Im Asylprozess kann ich ihnen nur begrenzt helfen. Aber ich kann ihnen oft die physischen wie auch die teilweise psychischen Schmerzen lindern. Das ist ein wichtiger Aspekt.

 

Welches Erlebnis hat Dich besonders geprägt?

Dieser ganze Einsatz hier ist prägend. Die Menschen hier zu treffen, die so viel Leid in ihrem Leben schon erlitten haben, war teilweise sehr traurig, aber hat mir auch mal wieder gezeigt, wie privilegiert wir leben. Die Menschen hier haben ihre Familienmitglieder verloren, haben Zukunftsängste. Für sie ist Deutschland ein Land der Hoffnung. Wenn ich dann an einige Leute denke, die nur über ihr Land meckern – das habe ich vor meiner Reise auch oft getan – schäme ich mich dafür. Klar, vieles blöd gerade, aber so gut wie uns, geht es gerade fast niemand auf der Welt.

 

Was war Deine schönste Erfahrung?

Die eine schöne Erfahrung habe ich hier nicht gemacht. Es ist vielmehr die Dankbarkeit der Menschen, die einen berührt.

 

Was wirst Du aus Deiner Zeit auf Lesbos mitnehmen?

Mehr Dankbarkeit für meine Lebensumstände und mehr Demut.

 

Wovon würdest Du sonst noch gerne berichten?

Physiotherapie kommt viel zu kurz in Verbindung mit sozialen Projekten, aber ist so wichtig. Physiotherapie hilft, Leid – physisch und psychisch – zu lindern. Von genau dieser Fähigkeit sollten wir Physiotherapeut*innen Gebrauch machen, um uns für die Schwächeren und Hilfesuchenden in dieser Gesellschaft einzusetzen.

 

Du erlebst aktuell die Situation vor Ort – Wie können Interessierte Eure Arbeit am besten unterstützen?

Das Projekt „Earth Medicine“ ist großartig. Und besonders die Projektleiterin Fabiola ist eine außergewöhnliche Frau. Sie hilft den Menschen im Camp mit mehr als „nur“ Physiotherapie. Ich kann klar sagen: Falls ihr spenden wollt, spendet an sie. Bei ihr kommt das Geld direkt bei den Hilfsbedürftigen an. Wenn man als Physiotherapeut*in herkommen möchte, informiert man sich am besten auf der Homepage www.theearthmedicine.com. Wer durch die aktuelle Situation gerade kein Geld zur Verfügung hat und auch nicht sicher ist, ob man mental die Arbeit vor Ort verkraften kann, kann zumindest mit einem Like auf ihrer Facebook-Seite helfen. Denn: Schon eine kleine Aufmerksamkeit für die Situation hilft.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

(Fotos: Ole L.)