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01.02.2019

IKK classic – Absetzungswelle bringt Praxen in Not

Die Geschäftsstelle von PHYSIO-DEUTSCHLAND Baden-Württemberg wird seit einigen Wochen sehr häufig mit Anrufen von Mitgliedern konfrontiert, bei denen es um Rückforderungsverlangen der IKK classic über das Abrechnungszentrum Emmendingen geht. Immer häufiger werden nun ohne vorherige Ankündigung sofort Absetzungen vorgenommen.

Aktuell geht es um Zahlungen, die im Jahr 2015, wie ausdrücklich festgestellt wird, nach Prüfung durch das Abrechnungszentrum Emmendingen bzw. durch die IKK classic für berechtigt gehalten und deshalb bezahlt wurden, nun aber im Rahmen einer Nachprüfung für unberechtigt gehalten werden und deshalb von der Physiotherapiepraxis zu Unrecht abgerechnet worden sein sollen.

Praxen, die gegenüber der IKK classic oder gegenüber dem Abrechnungszentrum Emmendingen wegen Rückforderungsverlangen oder Absetzungen dort erbost und verärgert schriftlich oder telefonisch intervenieren, werden entweder ignoriert oder mit standardisierten Schreiben abgefertigt.

Die Rechtslage

Hier gilt es hinsichtlich der von der IKK classic benannten Absetzungsgründe sorgfältig wie folgt zu unterscheiden:

1. Der Absetzungsgrund ist gar kein Absetzungsgrund:

Beispiele:

  • 12 Wochen-Frist bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls (behandlungsfreies Intervall)

  • Massageverordnungen bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls

  • Eine Erstverordnung wäre erforderlich gewesen, weil ein anderer Arzt verordnet hat.

2. Für den angeblichen Absetzungsgrund besteht keine Prüfpflicht der Praxis:

Es versteht sich von selbst, dass in diesen Fällen ein Rückzahlungsverlangen unbegründet und unzulässig, eine bereits erfolgte Absetzung schlicht rechtswidrig ist.

3. Es liegt tatsächlich ein Verordnungsfehler vor, für den auch eine Prüfpflicht der Praxis besteht (z.B. Heilmittel passt nicht zum Indikationsschlüssel) und ein Absetzungsgrund somit tatsächlich vorliegt:

Im Jahr 2019 für Zahlungen von fehlerhaften Verordnungen aus dem Jahr 2015 Rückzahlung zu fordern bzw. die im Jahr 2015 geleisteten Zahlungen von jetzigen Abrechnungen abzusetzen, dürfte jedenfalls rechtsmissbräuchlich sein, denn:

Eine Krankenkasse, die ausdrücklich feststellt, dass eine Rechnungsstellung in 2015 geprüft und bezahlt worden ist, stellt damit klar, dass sie gerade NICHT, wie der maßgebende Rahmenvertrag schreibt, „im Vertrauen auf die sachliche und rechnerische Richtigkeit“ gezahlt hat – und im Fall der späteren Feststellung, dass eine sachliche oder rechnerische Richtigkeit nicht besteht, selbstverständlich noch nicht verjährte, unberechtigte Zahlungen NICHT zurückfordern kann.

Eine Krankenkasse, die ausdrücklich feststellt, dass geprüft  wurde, bringt im Falle der Zahlung klar zum Ausdruck, dass entweder die Verordnung für korrekt angesehen oder dass diese Verordnung zwar fehlerhaft ist, aber aus Kulanz gezahlt wurde.

In beiden Fällen kann eine Krankenkasse dann aber nicht  Jahre später die geleistete Zahlung zurückfordern oder diese geleistete Zahlung gar von Folgerechnungen der Praxis absetzen – ein solcher Anspruch bzw. ein solches Recht besteht nach verbandlicher Rechtsauffassung entweder gar nicht oder es wäre jedenfalls rechtsmissbräuchlich, einen solchen Anspruch durch Absetzung durchzusetzen.

Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema existiert jedoch nicht. 

Handlungsoptionen

Einen Rechtsbehelf im Sinne eines Widerspruchs oder Einspruchs gibt es in diesem Fall nicht – es schadet aber auch nicht, wenn Sie einen solchen einlegen (abgesehen davon, dass es Arbeit macht, Zeit und Nerven kostet).

Sie werden auf Ihre schriftliche oder telefonische Intervention im besten Fall ein standardisiertes Schreiben erhalten, in dem die IKK classic Ihnen mitteilt, dass diese auf ihrem Rechtsstandpunkt beharrt – es kann aber auch sein, dass Sie von der IKK classic schlicht ignoriert werden.

Ob eine Intervention über einen Rechtsanwalt zielführend ist, eine außergerichtliche Klärung in Ihrem Sinne herbeizuführen, können wir nicht beurteilen – gerne versuchen Sie das aber.

Sollten Sie außergerichtlich erfolglos bleiben, bleiben jeder einzelnen Praxis leider nur zwei Möglichkeiten übrig:

1. Die Absetzung zähneknirschend aktzeptieren oder

2. Ihre Ansprüche vor dem Sozialgericht geltend machen.

Eine häufig von den betroffenen Praxen angemahnte oder erwartete Verbandsklage geht vor Sozialgerichten genauso wenig, wie eine Sammelklage!

Die Möglichkeit, Klage zu erheben, muss durch die einzelne Praxis erfolgen.

Dafür können/sollten Sie sich aber Zeit lassen – Sie haben nämlich vier Jahre Zeit, eine solche Klage einzureichen!

Zeit lassen sollten Sie sich auch deshalb, um abzuwarten, ob nicht weitere Absetzungen hinzukommen, man also nicht wegen einer relativ geringen Summe klagen muss, sondern der Klagbetrag eine gerichtliche Geltendmachung „lohnt“.

Die IKK classic hat bereits angekündigt, auch die Abrechnungen der Jahre 2016 und 2017 nachzuprüfen und dies gegebenenfalls für Absetzungen zu nutzen.

PHYSIO-DEUTSCHLAND – Baden-Württemberg bemüht sich weiterhin um Lösung

Der Vorstand und die Mitarbeiter der Geschäftsstelle wissen, dass die beschriebene Sachlage für Sie völlig unbefriedigend ist.

Wir wissen das auch deshalb, weil sämtliche bisherigen verbandlichen Bemühungen, mit der IKK classic ins Gespräch zu kommen und eine Klärung im Sinne der Praxen zu finden, durch die IKK classic boykottiert wurden.

Der Vorstand wird sich davon selbstverständlich nicht beeindrucken lassen und weiter auf eine kurzfristige Lösung drängen – sei es durch neuerliche Versuche, mit der IKK classic ins Gespräch zu kommen oder durch Einschaltung der Aufsichtsbehörde zur rechtlichen Beurteilung.

Einen kleinen Appell richten wir aber auch an Sie:

Wir wissen nicht, ob die IKK classic mit dieser Absetzungswelle auch den Versuch unternimmt, das Verhältnis zwischen den Physiotherapeutenverbänden und den Physiotherapeuten zu stören.

Denn bedauerlicherweise richtet sich der völlig berechtigte Ärger und Frust der betroffenen Praxen zum Teil auch gegen die Verbände – was menschlich absolut nachvollziehbar ist, aber absolut keine sachliche Berechtigung hat.

Lassen Sie sich bitte insoweit nicht durch die IKK classic manipulieren. Wir versuchen wirklich alles, um diesem sehr ärgerlichen Treiben der IKK classic in Ihrem Sinne zu begegnen.