Heilmittel-Tour: KV diskutierte mit Physiotherapeuten über Praxisbesonderheiten, Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Richtgrößen
Die Veranstaltung war ein Novum: Am 16. November 2016 führte die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberger zum ersten Mal ihre „Tour de Ländle“ zum Thema „Heilmittel – regresssicher in die Zukunft“ exklusiv für Physiotherapeuten durch. Rund 100 Mitglieder der beiden Physiotherapeuten-Verbände, PHYSIO-DEUTSCHLAND und VPT, kamen in die KV-Bezirksdirektion nach Karlsruhe, um sich über Neuerungen im Bereich Heilmittel zu informieren und zu erfahren, wie Ärzte über wirtschaftliche Verordnungsmöglichkeiten aufgeklärt werden. Auch die Themen Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Richtgrößen und Rezeptformalien diskutierten die Physiotherapeuten mit den KV-Vertretern.
Gemeinsam führten die Vorstandsvorsitzenden von PHYSIO-DEUTSCHLAND und VPT, Michael N. Preibsch und Raymond Binder, die Mitglieder ins Thema ein. Preibsch erklärte den Anlass der Heilmittel-Tour für Physiotherapeuten: Nachdem rund 4.000 Ärzte im Frühjahr 2016 von der Bezirksprüfstelle wegen einer Überschreitung ihres Richtgrößenvolumens angeschrieben wurden, ging die Zahl an Verordnungen in vielen Praxen zurück. „In unserer Geschäftsstelle erhielten wir viele Anrufe von Mitgliedern zum Thema Verordnungsrückgang“, erklärte Preibsch. Aufgrund dieser Anrufe nahm er Kontakt zur Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg auf und besuchte die Heilmittel-Tour für Ärzte, woraufhin ihm die KV anbot, diese Veranstaltung auch für Physiotherapeuten durchzuführen. VPT-Vorstand Binder lobte die Transparenz der Ärztevertreter: „Die KV zeigt uns das, was sie den Ärzten auch zeigt.“
Über die Neuerungen im Jahr 2017 referierte Bernhard Vollmer vom Referat Politik und Grundsatzfragen bei der KV Baden-Württemberg. Vollmer nannte Beispiele für Diagnosen, die neu in die Listen der besonderen Verordnungsbedarfe und der langfristigen Heilmittelbedarfe aufgenommen wurden. Verbesserung gibt es insbesondere bei den geriatrischen Krankheiten. Laut Vollmer wurden 40 neue geriatrische Diagnosen auf Bundesebene vereinbart. „Die neuen ICD-10-Codes schaffen mehr Verordnungssicherheit ab Januar“, erklärte Vollmer, räumte aber auch ein, dass sich die KV im orthopädischen und chirurgischen Bereich mehr Diagnosen gewünscht habe. „Wir möchten bei Ihnen Verständnis dafür wecken, dass die Verhandlungen auf Bundesebene ein Kompromiss waren.“ Über einige Diagnosen wird aktuell noch mit dem GKV-Spitzenverband verhandelt.
Ein weiteres Thema war die neue heilmittelkonforme Software, die Arztpraxen ab Januar verwenden müssen. Durch die zertifizierte Software werden Plausibilitätsprüfungen eingeführt, wodurch sich viele, aber nicht alle Verordnungsfehler vermeiden lassen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass die neue Software ab dem nächsten Jahr rund läuft“, versprach Vollmer. Verbandsvorsitzender Preibsch gab allerdings zu bedenken, dass durch die neue Software die Prüfpflicht der Physiotherapeuten unangetastet bleibe. Zwar wird die Software viele Formfehler verhindern, nicht prüfen kann sie aber zum Beispiel, ob die Frist für den Behandlungsbeginn eingehalten wird oder ob der Patient für die gleiche Diagnose bereits ein Rezept von einem anderen Arzt erhalten hat.
Anschließend erklärte Dr. Richard Fux, Beratungsarzt im Verordnungsmanagement bei der KV, wie die Ärzte auf der Heilmittel-Tour informiert werden. Bisher gab es 14 Veranstaltungen dieser Art. In dem Vortrag geht es sowohl um die Heilmittelrichtgrößenprüfungen als auch um die formal korrekte Verordnungsweise. Die Ärzte werden über den Heilmittelkatalog und über Rezeptformalien aufgeklärt, etwa darüber, dass ein Arztwechsel keinen neuen Regelfall auslöst. Auch das kritische Thema der wirtschaftlichen Verordnungsweise von Heilmitteln spricht die KV in ihrem Vortrag an. Die Ärzte bekommen zum Beispiel den Tipp, die Höchstmenge nicht auszuschöpfen, werden dazu angehalten, die Frequenz unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu prüfen und erhalten Informationen über die Vorteile der Gruppentherapie.
Das Thema „wirtschaftliche Verordnungsweise“ löste erwartungsgemäß heftige Kritik von Seiten der Physiotherapeuten aus. Einige Mitglieder berichteten von ihren täglichen Problemen mit Ärzten, die weniger Heilmittel verordnen, als medizinisch notwendig ist, oder auf günstigere Heilmittel ausweichen, weil sie Angst vor einem Regress haben. Michael Austrup, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von PHYSIO-DEUTSCHLAND Baden-Württemberg, rief die Physiotherapeuten dazu auf, sich mit den Ärzten zusammenzutun, um vom System der Wirtschaftlichkeitsprüfungen wegzukommen. Dass Ärzte unter diesen Bedingungen Heilmittel verordnen müssen, ist laut Austrup „eine Katastrophe“ – zumal aufgrund des demographischen Wandels in Zukunft mit steigenden Verordnungsbedarfen zu rechnen sei. Vollmer versprach daraufhin, dass sich die KV diesem Thema im nächsten Jahr stellen werde.
Obwohl sie viel Verständnis für die Belange der Physiotherapie aufbrachten, warben die KV-Mitarbeiter auch für Verständnis für die Ärzte, die einen eventuellen Regress aus eigener Tasche bezahlen müssen. „Natürlich ist für den Arzt die Versuchung groß zu sagen, jetzt verordne ich einfach weniger“, erklärte Vollmer. Direkten Einfluss auf die Briefe der – unabhängig arbeitenden – Bezirksprüfstelle könne die Kassenärztliche Vereinigung zwar nicht nehmen, durch erklärende Schreiben versuche sie aber, die Unruhe unter den Ärzten so gering wie möglich zu halten.
„Rufen Sie die Ärzte an, halten Sie Rücksprache über die Verordnungen“, riet Michael Preibsch zum Abschluss. Preibsch lobte die KV-Vertreter für ihre Ehrlichkeit: „Das war original der Vortrag, der auch bei den Ärzten referiert wird.“ VPT-Chef Binder ergänzte: „Wir verstehen die Ärzte jetzt besser als zuvor und hoffen, dass sie 2017 für uns kämpfen werden.“
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