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19.04.2021

„Der Beruf an sich ist eine herrliche Sache, aber die wirtschaftliche Situation ist eklatant“

189 Tage – so lange dauert es bundesweit eine offene Stelle in der Physiotherapie zu besetzen (Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit, 12/2019). Dieser Fachkräftemangel macht sich auch in vielen Physiotherapiepraxen in Baden-Württemberg bemerkbar, was sich direkt auf die Patient*innenversorgung auswirkt. Die Praxisinhaberin Claudia Fahrländer-Kellner aus Lörrach gibt im Interview Einblick in ihre Erfahrungen.

Frau Fahrländer-Kellner, wie ist die Situation in Ihrer Praxis?

Meine Praxis liegt in Lörrach, direkt an der Grenze zur Schweiz. Aktuell sind etwa zwei Drittel unserer Termine mit chronisch kranken Patient*innen belegt. Außerdem behandeln wir viele Patient*innen mit Krebserkrankungen. Dadurch bleiben nur wenige Termine, die wir an weitere Patient*innen vergeben können, obwohl wir sehr viele Anfragen haben. Die 28-Tage-Beginnfrist ist für uns quasi nicht leistbar.

Was bedeutet dies für die Patient*innen?

Zum Teil spielen sich menschliche Schicksale ab und ich habe weinende Patient*innen am Telefon, denen ich keine fristgerechten Termine anbieten kann. Zum Beispiel Manuelle Therapie ist über Wochen ausgebucht. An eine andere Praxis weiter zu verweisen hilft nicht, denn die Situation ist überall in Lörrach gleich. Es endet damit, dass manche Patient*innen keine physiotherapeutische Behandlung bekommen.

Wäre es eine Möglichkeit, mehr Physiotherapeut*innen einzustellen, um mehr Termine anbieten zu können?

In ganz Lörrach herrscht eklatanter Personalmangel. Durch die Grenznähe arbeiten viele Therapeut*innen lieber in der Schweiz, wo sie bis zu dreimal mehr verdienen. Für jeden Therapeut, der geht, kommt keiner nach. Ausgeschriebene Stellen werden überhaupt nicht mehr besetzt.

Was tun Sie, um Ihre Angestellten zu halten?

In meiner Praxis arbeiten wir im 30-Minutentakt und werden von zwei Rezeptionskräften unterstützt. Aber mit den gegenwärtigen Preisen lässt sich an den Löhnen nichts ändern.

Was würde aus Ihrer Sicht gegen den Fachkräftemangel helfen?

Es ist wichtig, die Preisverhandlungen mit neuer Kraft zu führen. Denn die Löhne, die wir bezahlen können, sind im Vergleich zu niedrig. Auch die Bürokratie und Dokumentation sollte wie in Arztpraxen extra abrechenbar sein. Aktuell ist es ist nicht wirtschaftlich, eine Praxis zu führen. Meiner Einschätzung nach stirbt unsere Berufssparte daher im Lörracher Raum bereits in den nächsten fünf Jahren aus. Der Beruf an sich ist eine herrliche Sache, aber unsere wirtschaftliche Situation ist eklatant.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Foto: Claudia Fahrländer-Kellner