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12.09.2017

Bundestagswahl 2017: Politikerinterview Folge 4: Johanna Tiarks – DIE LINKE

Wir setzen unsere Interviewreihe zur Bundestagswahl fort. In unserem vierten Interview kommt Johanna Tiarks zu Wort. Sie kandidiert für die LINKE im Wahlkreis Stuttgart I für den deutschen Bundestag. Gesundheit ist eines ihrer Schwerpunktethemen.

Themenkomplex „Finanzielle Aufwertung des Berufes“

Frage: Welche Schritte sehen Sie und Ihre Partei vor, um dafür Sorge zu tragen, dass die physiotherapeutische Leistung langfristig angemessen und leistungsgerecht vergütet wird?

Johanna Tiarks: Die Heilmittelerbringer müssen spürbar und dauerhaft besser vergütet werden. Neben einer allgemeinen Anhebung der Honorare ist es dringend erforderlich, endlich die Angleichung der Honorare in Ost und West herbeizuführen, die teilweise immer noch aussteht. DIE LINKE hat eine unbefristete Aufhebung der Grundlohnsummenanbindung oder Anhebungen der Vergütung durch den Gesetzgeber gefordert (BT-Drs. 18/11207). Wichtig ist uns dabei auch, dass bessere Honorare sich auch in den Gehältern der angestellten Heilmittelerbringenden widerspiegeln. Mit unserer Solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung wäre eine höhere Vergütung dauerhaft finanzierbar.

Frage: Bei den Gebührenverhandlungen von 2017 bis 2019 können Kassen und Berufsverbände erstmalig ohne die durch die Grundlohnsumme (GLS) festgesetzte Obergrenze Preise verhandeln. Wie stehen Sie und Ihre Partei zu dieser Neuerung? Planen Sie die unbefristete Abkoppelung von der GLS und wenn ja unter welchen Bedingungen?

Johanna Tiarks: Siehe Antwort 1. Wir begrüßen zwar die Abkoppelung, kritisieren aber die Befristung. Denn dadurch steht zu befürchten, dass die Kassen die notwendigen Erhöhungen "aussitzen" werden, um danach auf weiterhin zu niedrigem Niveau zu vergüten. Daher sind wir für eine unbefristete Regelung, zumindest bis ein vertretbares Niveau erreicht ist.

Frage: Das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) sieht eine Transparenzklausel vor, die sicherstellen soll, dass ein Teil der Gebührenerhöhung an die Angestellten in Praxen weitergegeben wird. Wie stehen Sie dazu? Welche Art der Umsetzung wäre für Sie denkbar?

Johanna Tiarks: Grundsätzlich positiv. Wir finden, dass Tariflöhne auch für angestellte Heilmittelerbringende eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Deshalb ist es sinnvoll, die tatsächliche Zahlung von Tariflöhnen im Blick zu haben. Dies setzt natürlich auch eine ausreichende Vergütung der Leistungen voraus.

Themenkomplex „Modernisierung der Ausbildung“

Frage: Die Berufsgesetze für Therapeuten stammen aus den 1990er Jahren und entsprechen nicht mehr einer adäquaten Patientenversorgung. Inwiefern sind Sie und Ihre Partei bereit, das Berufsgesetz in der kommenden Legislaturperiode zu modernisieren?

Johanna Tiarks: Wir sind gerne bereit, mit den Berufsverbänden dieses Thema zu besprechen und gemeinsam die Vorteile und Möglichkeiten einer Modernisierung zu erörtern. Wir gehen nach so langer Zeit von einem deutlichen Überarbeitungsbedarf aus und freuen uns auf den fachlichen Input der Therapeutinnen und Therapeuten.

Frage: Ein Grund dafür, dass immer weniger junge Menschen sich für eine Ausbildung zum Physiotherapeuten entscheiden, sind die hohen Schulgeldforderungen der Physiotherapieschulen, die sich bis auf wenige Ausnahmen in freier Trägerschaft befinden. Die Therapieberufe sind somit die einzigen Ausbildungsberufe, für die man selbst für die Ausbildungskosten aufkommen muss. Werden Sie und Ihre Partei Maßnahmen ergreifen, das Schulgeld abzuschaffen?

Johanna Tiarks: Selbstverständlich. DIE LINKE setzt sich für bessere Rahmenbedingungen ein, damit wieder mehr Menschen einen Gesundheitsfachberuf ergreifen und dauerhaft ausüben können. Das beginnt bei einer attraktiven, gebührenfreien Ausbildung sowohl in den Pflege- als auch in anderen Heilberufen, die berufliche Aufstiegschancen eröffnet. Es ist ein Unding, wenn Auszubildende für die Ausbildung zahlen müssen. Damit generiert man nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern verbaut man den jungen Menschen Chancen. Die Ausbildung soll in allen Gesundheitsfachberufen die unmittelbare Berufsfähigkeit sichern und so gebührenpflichtige Anschlussqualifizierungen vergleichbar dem Mindestlohn einführen.

Frage: Innovative Therapiekonzepte werden allerorts gefordert. Welche konkreten Maßnahmen werden Sie innerhalb der nächsten vier Jahre ergreifen, um zum Aus- und Aufbau der Forschung in der Physiotherapie beizutragen?

Johanna Tiarks: Richtig, wir brauchen mehr Forschung im physiotherapeutischen Bereich. Mögliche Forschung wird nicht betrieben, weil sie sich wirtschaftlich nicht rentiert. Wir wollen daher insbesondere öffentliche, gemeinnützige Versorgungsforschung finanziell fördern.

Frage: Stichwort Akademisierung: Wie sehen Sie die (Voll-)Akademisierung der Physiotherapie? Welche Maßnahmen ergreifen Sie, und welchen Einfluss auf die Länder machen Sie geltend, um mehr Studienplätze in der Physiotherapie zu schaffen wie vom Wissenschaftsrat gefordert?

Johanna Tiarks: Die ersten Evaluierungsergebnisse von 2016 waren vorsichtig positiv und so hätte sich eine frühere Überführung auch rechtfertigen lassen. Dies haben wir - leider erfolglos - gefordert. Nun wurde die Modellklausel allerdings seitens CDU/CSU und SPD bis 2021 verlängert. Wenn die Evaluation die Hinweise auf Vorteile für die Patientenversorgung erhärten wird, dann werden wir selbstverständlich erneut eine Überführung fordern - auch schon vor dem Abschluss der Modellklausel.

Frage: Werden Sie in der kommenden Legislaturperiode die Modellstudiengänge für Therapieberufe in Regelstudiengänge überführen?

Johanna Tiarks: Siehe vorangehende Frage. Für uns ist der Nutzen für die Patientinnen und Patienten entscheidend. Wenn es hier Vorteile gibt - und so scheint es zu sein - werden wir dies erneut fordern. Zudem verbessert eine akademische Ausbildung die Aufstiegsmöglichkeiten für Physiotherapeuten und macht den Beruf damit attraktiver. Ein Studium sollte auch denjenigen ohne Hochschulreife offenstehen, die einschlägige Berufserfahrung gemacht haben.

Themenkomplex „Berufliche Autonomie“

Frage: Physiotherapeuten sind sehr gut ausgebildet. Wie wollen Sie und Ihre Partei die Autonomie der Physiotherapeuten stärken?

Johanna Tiarks: Da die Evaluation der Blankoverordnung positiv verlaufen ist, sind wir hier für eine Überführung in die Regelversorgung. Was den Direktzugang angeht, sind wir für zu evaluierende Modellversuche in ausreichender Größe. Wir bedauern, dass CDU/CSU und SPD nicht den Mut hatten, auf diese unsere Forderung einzugehen.

Frage: Wie stehen Sie zur Kammerbildung für die Heilmittelerbringer?

Johanna Tiarks: DIE LINKE unterstützt die zunehmenden Bestrebungen der Heilmittelerbringenden, ihre beruflichen und sozialen Interessen politisch wirksam zu vertreten. Kammern sind ein Ausdruck dieses Bestrebens. Ob sie jedoch für eine wirksame Interessenvertretung wirklich geeignet sind und nachhaltig die Versorgungsqualität erhöhen, bezweifeln wir. Das derzeitige Kammerwesen wird den berufs- und gesellschaftspolitischen Anforderungen kaum gerecht. Deshalb wäre aus Sicht der LINKEN auch das Kammerwesen selbst zu reformieren.

Frage: Bevorzugen Sie den Direktzugang oder die Blankoverordnung? Warum? Wie werden Sie sich für das eine oder andere Modell einsetzen?

Johanna Tiarks: Wir wollen, wie bereits erwähnt, den Direktzugang erproben. Mit der Blankoverordnung ist dies bereits geschehen und wurde positiv evaluiert. Daher sind wir dafür, die Blankoverordnung möglichst rasch und flächendeckend einzuführen und den Direktzugang mit einer ausreichenden Zahl von Praxen zu erproben.

Thema Umsatzsteuer auf Präventionsleistungen

Frage: Das berufliche Selbstverständnis des PT erstreckt sich weit über die Kuration hinaus. Teilhabe, partizipative Ansätze sowie Vorbeugung sind wichtige Schlagworte, die allerdings nicht von der Umsatzsteuer befreit sind. Der Gesetzgeber entlastet die Krankenkassen bewusst und richtigerweise von der Mehrwertsteuer bei rezeptierten Leistungen, aber nicht bei Leistungen nach §20. Werden Sie sich hier für eine Änderung stark machen?

Johanna Tiarks: Die sehr enge Auslegung der Finanzbehörden, wonach selbst Anschlussbehandlungen nur dann umsatzsteuerbefreit sind, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt, ist zu kritisieren, und zeugt von dem arztzentrierten Verständnis des Gesundheitssystems und verursacht unnötige Arztbesuche. Diese Frage sollte sich ab dem Moment allerdings ohnehin erledigen, sobald ein Direktzugang möglich ist. Wir machen uns stark für die Erprobung des Direktzugangs.

Sonstiges

Frage: Was gedenken Sie darüber hinaus noch zu tun, um die Attraktivität des Berufes des Physiotherapeuten künftig zu steigern?

Johanna Tiarks: Wir wollen, dass die Bundesregierung den Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz von 2016 zur Osteopathie umsetzt, indem das Bundesgesundheitsministerium eine Expertengruppe mit dem Auftrag einberuft, sinnvolle Lösungen für eine berufsrechtliche Regelung vor allem aus Sicht der Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten aufzuzeigen und zu bewerten. Hierbei ist dann auch zu prüfen, inwiefern eine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde notwendig ist, um verschiedene osteopathische Methoden anzuwenden.

Außerdem unterstützt DIE LINKE das Anliegen, mittels der Telematik-Infrastruktur eine gute Vernetzung und Kommunikation innerhalb des Gesundheitssystems zu gewährleisten. Das betrifft mittelfristig auch nichtärztliche Leistungsanbieter, für die es sinnvoll ist, gesundheitsbezogene Patientendaten mit anderen Akteuren des Gesundheitssystems auszutauschen. Wir sind dafür, die Anbindung an die Telematik-Infrastruktur bei nichtärztlichen Leistungserbringenden ebenso zu finanzieren wie bei ärztlichen.

Last but not least sind wir offen für einen Dialog mit Ihnen.