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11.09.2017

Bundestagswahl 2017: Politikerinterview Folge 3: Hilde Mattheis – SPD

Wir setzen unsere Interviewreihe zur Bundestagswahl fort. In unserem dritten Interview kommt Hilde Mattheis zu Wort. Sie kandidiert für die SPD für den Wahlkreis Ulm. Als Mitglied des Bundestags ist sie gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied des Ausschusses für Gesundheit.

Themenkomplex „Finanzielle Aufwertung des Berufes“

Frage: Welche Schritte sehen Sie und Ihre Partei vor, um dafür Sorge zu tragen, dass die physiotherapeutische Leistung langfristig angemessen und leistungsgerecht vergütet wird?

Hilde Mattheis: Die Vergütung der Heilmittelleistungen wird zwischen den Krankenkassen und den Heilmittelerbringern in den Regionen selbständig verhandelt. Wir wissen, dass Vergütungssteigerungen nicht immer in gleichem Maße an die angestellten Heilmittelerbringer weitergegeben werden. Wir wollen, dass Heilmittelerbringer besser bezahlt werden. Dafür haben wir in dieser Legislaturperiode wichtige Voraussetzungen geschaffen, z.B. durch die Abschaffung der Grundlohnsummenanbindung und die Möglichkeit, regionale Vergütungsunterschiede auszugleichen.

Frage: Bei den Gebührenverhandlungen von 2017 bis 2019 können Kassen und Berufsverbände erstmalig ohne die durch die Grundlohnsumme (GLS) festgesetzte Obergrenze Preise verhandeln. Wie stehen Sie und Ihre Partei zu dieser Neuerung? Planen Sie die unbefristete Abkoppelung von der GLS und wenn ja unter welchen Bedingungen?

Hilde Mattheis: Die Abkopplung der Ausgaben der Krankenkassen für die Heilmittelversorgung von der Entwicklung der Beitragseinnahmen entspricht einer langjährigen Forderung der SPD. Die SPD setzt sich dafür ein, zügig ein insgesamt schlüssiges und einheitliches Konzept der Ausgabensteuerung zu schaffen, das einerseits den sich verändernden Behandlungsbedarf berücksichtigt, andererseits aber auch langfristig die finanzielle Stabilität der GKV garantiert.

Frage: Das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) sieht eine Transparenzklausel vor, die sicherstellen soll, dass ein Teil der Gebührenerhöhung an die Angestellten in Praxen weitergegeben wird. Wie stehen Sie dazu? Welche Art der Umsetzung wäre für Sie denkbar?

Hilde Mattheis: Die Transparenzklausel befürworten wir ausdrücklich. Die SPD hat die Transparenzklausel in den parlamentarischen Beratungen zum HHVG durchgesetzt, mit dem Ziel, sicherzustellen, dass die mit den Kassen ausgehandelten Vergütungserhöhungen auch bei den angestellten Heilmitterbringern ankommen. Die Umsetzung ist Sache der Verhandlungspartner. Wir werden das jedoch aufmerksam verfolgen, um bei Bedarf gesetzgeberisch nachzusteuern.

Themenkomplex „Modernisierung der Ausbildung“

Frage: Die Berufsgesetze für Therapeuten stammen aus den 1990er Jahren und entsprechen nicht mehr einer adäquaten Patientenversorgung. Inwiefern sind Sie und Ihre Partei bereit, das Berufsgesetz in der kommenden Legislaturperiode zu modernisieren?

Hilde Mattheis: Die Überarbeitung der Berufsgesetze ist in allen Gesundheitsfachberufen überfällig und in der kommenden Legislaturperiode dringend anzugehen. Dafür wird sich die SPD einsetzen.

Frage: Ein Grund dafür, dass immer weniger junge Menschen sich für eine Ausbildung zum Physiotherapeuten entscheiden, sind die hohen Schulgeldforderungen der Physiotherapieschulen, die sich bis auf wenige Ausnahmen in freier Trägerschaft befinden. Die Therapieberufe sind somit die einzigen Ausbildungsberufe, für die man selbst für die Ausbildungskosten aufkommen muss. Werden Sie und Ihre Partei Maßnahmen ergreifen, das Schulgeld abzuschaffen?

Hilde Mattheis: Wir wollen, dass die Auszubildenden kein Schulgeld zahlen müssen. An zahlreichen staatlichen und staatlich anerkannten Berufsfachschulen ist die Ausbildung bereits heute schulgeldfrei. Dieses Ausbildungsangebot wollen wir stärken. Wir werden uns auch für eine angemessene Ausbildungsvergütung in den Gesundheitsfachberufen einsetzen.

Frage: Innovative Therapiekonzepte werden allerorts gefordert. Welche konkreten Maßnahmen werden Sie innerhalb der nächsten vier Jahre ergreifen, um zum Aus- und Aufbau der Forschung in der Physiotherapie beizutragen?

Hilde Mattheis: Die SPD setzt sich seit Jahren für eine stärkere Förderung von Versorgungsforschung ein. Wir wissen vergleichsweise viel über die Entstehung und Vermeidung von Krankheiten, aber noch zu wenig über den Erhalt oder die Wiederherstellung von Gesundheit. In unserer Gesellschaft des längeren Lebens werden auch die Bedeutung und der Bedarf an guter Versorgung in den Leistungsbereichen der verschiedenen Gesundheitsfachberufe weiter steigen. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz haben wir in dieser Legislaturperiode einen Innovationsfonds eingeführt, der finanzielle Mittel des Gesundheitsfonds für die Erprobung innovative Versorgungsformen und Projekte der Versorgungsforschung vergibt. Auch die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierte Förderinitiative „gesund - ein Leben lang“, mit der Forschung zu Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung an Lebensphasen ausgerichtet wird, ist ein wichtiger Schritt. Außerdem stärkt das Bundesministerium für Bildung und Forschung diesen Bereich mit seinem im Dezember 2014 veröffentlichen Aktionsplan Versorgungsforschung „nah am medizinischen Alltag“ und investiert im Zeitraum von 2015 bis 2018 rund 50 Millionen Euro in die Versorgungsforschung. Wir werden prüfen, ob und inwieweit sich die Gesundheitsfachberufe in diesen Initiativen wiederfinden und welcher Bedarf an politischer Unterstützung zur Stärkung von Forschungsstrukturen für die Gesundheitsfachberufe darüber hinaus weiterhin besteht.

Frage: Stichwort Akademisierung: Wie sehen Sie die (Voll-)Akademisierung der Physiotherapie? Welche Maßnahmen ergreifen Sie, und welchen Einfluss auf die Länder machen Sie geltend, um mehr Studienplätze in der Physiotherapie zu schaffen wie vom Wissenschaftsrat gefordert?

Hilde Mattheis: In welchem Umfang eine Akademisierung der therapeutischen Berufe für eine gute und zeitgemäße Versorgung von Patientinnen und Patientinnen sinnvoll und notwendig ist, muss gut abgewogen werden. Es kann sicher nicht darum gehen, an historisch gewachsenen Zuständigkeiten und Aufgabenzuweisungen festzuhalten. Es ist aber notwendig, die Wirkungen und den Nutzen einer vollständigen Akademisierung für die Versorgung von Patientinnen und Patienten sowie für die Berufsangehörigen selbst zu prüfen und zu diskutieren. Es ist bedauerlich, dass wir in dieser Legislaturperiode in dieser Diskussion nicht weitergekommen sind und eine weitere Verlängerung der geltenden Modellregelungen für die Akademisierung der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie hinnehmen mussten. Die SPD wird diesen Prozess aber auf Grundlage der bereits vorhandenen Evaluationsergebnisse weiter vorantreiben, zumal für die Hebammenausbildung aus europäischem Recht schon die Notwendigkeit einer vollständigen Akademisierung der Ausbildung besteht.

Frage: Werden Sie in der kommenden Legislaturperiode die Modellstudiengänge für Therapieberufe in Regelstudiengänge überführen?

Hilde Mattheis: Wir wissen, dass wir in Zukunft mehr und gut ausgebildete Fachkräfte in den therapeutischen Berufen brauchen. Es ist deshalb wichtig, die kommende Legislaturperiode zu nutzen, um auf Grundlage der Evaluation der Modellstudiengänge die Wirkungen und den Nutzen einer Akademisierung für Patientinnen und Patienten sowie für die Berufsangehörigen selbst abschließend zu beraten.

Themenkomplex „Berufliche Autonomie“

Frage: Physiotherapeuten sind sehr gut ausgebildet. Wie wollen Sie und Ihre Partei die Autonomie der Physiotherapeuten stärken?

Hilde Mattheis: Wenn wir den Fachkräftemangel im Bereich der Physiotherapie wirksam bekämpfen wollen, dann müssen wir den Beruf attraktiver machen. Dazu gehört neben einer besseren Bezahlung, einem verbesserten Zugang zur Ausbildung, und attraktiveren Arbeitsbedingungen auch eine größere Anerkennung des Berufes und der erworbenen Qualifikationen. Die SPD setzt sich dafür ein, dass Physiotherapeuten, ebenso wie andere therapeutische Berufe, stärker und mit mehr Verantwortung in die medizinische Versorgung eingebunden werden. In diesem Zusammenhang diskutieren wir auch die Möglichkeiten beim Direktzugang und bei der Blankoverordnung.

Frage: Wie stehen Sie zur Kammerbildung für die Heilmittelerbringer?

Hilde Mattheis: Das Thema wird auf Bundesebene zwar immer wieder diskutiert. Wir haben hier aber keine Regelungskompetenz. Gesetzliche Regelungen zur Verkammerung der therapeutischen Berufe fallen in die Gesetzgebungskompetenz der Länder.

Frage: Bevorzugen Sie den Direktzugang oder die Blankoverordnung? Warum? Wie werden Sie sich für das eine oder andere Modell einsetzen?

Hilde Mattheis: Wir haben mit dem HHVG zunächst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Blankoverordnung bundesweit erprobt werden kann. Ziel ist es, mit den Ergebnissen dieser Erprobung gesicherter darüber entscheiden zu können, unter welchen Bedingungen Heilmittelerbringer direkter in die Versorgung eingebunden werden können. Einem Modellversuch zum Direktzugang stehen wir offen gegenüber.

Thema Umsatzsteuer auf Präventionsleistungen

Frage: Das berufliche Selbstverständnis des PT erstreckt sich weit über die Kuration hinaus. Teilhabe, partizipative Ansätze sowie Vorbeugung sind wichtige Schlagworte, die allerdings nicht von der Umsatzsteuer befreit sind. Der Gesetzgeber entlastet die Krankenkassen bewusst und richtigerweise von der Mehrwertsteuer bei rezeptierten Leistungen, aber nicht bei Leistungen nach §20. Werden Sie sich hier für eine Änderung stark machen?

Hilde Mattheis: Physiotherapeutische Leistungen, die auf einer ärztlichen Verordnung oder im Rahmen einer Vorsorge- oder  Rehabilitationsmaßnahme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, sind bereits von der Umsatzsteuer befreit. Für einzelne verordnungsfähige physiotherapeutische Leistungen kommt gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG die ermäßigte Umsatzsteuer in Betracht. Weitergehende Steuererleichterungen sehen wir vor dem Hintergrund der Steuergerechtigkeit derzeit nicht vor.

Sonstiges

Frage: Was gedenken Sie darüber hinaus noch zu tun, um die Attraktivität des Berufes des Physiotherapeuten künftig zu steigern?

Hilde Mattheis: Wenn wir den Beruf des Physiotherapeuten attraktiver machen wollen, dann wird uns das nur mit der Neufassung des Berufegesetzes gelingen. Hier geht es z.B. um die wichtigen Fragen der Ausbildungsinhalte, die auch dafür entscheidend sind, welche Rolle die Physiotherapeuten in Zukunft bei der Gesundheitsversorgung spielen werden.