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19.08.2020

Blickpunkt Coronahilfen:  Wie geht es physiotherapeutischen Praxen in anderen Ländern der Welt?

Die Internationale Vereinigung für private Physiotherapie (IPPTA) ist eine Arbeitsgruppe des Weltverbandes World Physiotherapy, die sich speziell um die Bedürfnisse selbstständiger Physiotherapiepraxen in der ganzen Welt kümmert. Am letzten Online-Meeting, das sich vor allem um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie drehte, nahm Stefan Hegenscheidt für PHYSIO-DEUTSCHLAND teil. Wir haben ihn kurz nach dem Meeting interviewt: 

Herr Hegenscheidt, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Physiotherapiepraxen angesichts der Corona-Pandemie? 
Je nach Land ist dies sehr unterschiedlich. An unserem Meeting nahmen Kolleg*innen aus 14 verschiedenen Ländern teil, die – teils heute noch - von der Pandemie sehr unterschiedlich betroffen sind. Ganz allgemein gesprochen zeigt sich, was wir in vielen anderen Bereichen auch beobachten: das Corona-Virus wirkt wie ein Brennglas und verstärkt schon bestehende Missstände. In den Entwicklungsländern fehlt beispielsweise jegliche Hilfe für unsere Berufsangehörigen. Das ist nicht nur finanziell, sondern auch aus arbeitsschutzrechtlicher und hygienischer Sicht eine Katastrophe. 

Welche Maßnahmen ergreift der Weltverband gegen diese Situation?  
Hier zeigt sich der Vorteil eines internationalen Netzwerkes in der Bündelung von Wissen und Erfahrung. World Physiotherapy sammelt Praxiserfahrungen und Forschungsergebnisse rund um die SARS-CoV-2 Pandemie, stellt allen Mitgliedsverbänden Leitlinien und Informationen zur Verfügung, und bezieht dabei auch die engen Kontakte z.B. zur WHO mit ein. World Physiotherapy fördert außerdem schon seit langem die Rolle der Physiotherapie in wirtschaftlich schwächeren Regionen der Welt. Zum einen mit Bildungsprojekten, zum anderen mit konkreter Lobbyarbeit. In der Coronakrise kommt es uns jetzt natürlich zu Gute, dass viele Projekte bereits lange bestehen und wir diese Vernetzungen nutzen können. Aber man darf nicht nur die Entwicklungsländer betrachten, auch Kollegen in den Industrienationen sind teils schwer betroffen durch die Pandemie. 

Was meinen Sie damit? 
Südafrika hat beispielsweise bis heute keinerlei Hilfen an die Berufsangehörigen gewährt, obwohl dort ein sehr strenger Lock-Down durchgeführt wurde, der sehr hohe finanzielle Einbußen für die Praxisbetreiber bedeutete. Insgesamt zeigt sich, dass überall dort, wo Therapiepraxen geschlossen wurden, der Normalbetrieb noch längst nicht wiederhergestellt ist. 

Halten Sie es also im Nachhinein für richtig, dass die Berufsverbände in Deutschland Position gegen die Schließung der Praxen bezogen haben? 
Im Rückblick betrachtet auf jeden Fall! Natürlich war zu Anfang der Pandemie die Verunsicherung sehr groß und auch innerhalb von PHYSIO-DEUTSCHLAND gab es ja viele Diskussionen. Aber letztlich bin ich sehr froh, dass wir bei unserer Position geblieben sind und unsere Freiberufler in der Krise so gute Arbeit geleistet haben. In Kanada beispielsweise durfte sich nach dem Lock-Down jeweils nur ein Patient zur Behandlung in der gesamten Praxis befinden. Vor dem Eintreffen des nächsten Patienten musste außerdem jedes Mal die komplette Praxis desinfiziert werden. Höhere Vergütungen gab es dafür jedoch nicht. 

Sind Sie besorgt angesichts einer zweiten Welle der Pandemie? 
Natürlich macht man sich Sorgen angesichts eines drohenden zweiten Lock-Downs. Aber man darf nicht vergessen, dass wir durch die Krise auch neue Strukturen aufgebaut haben, die uns zukünftig besser durch solche Situationen bringen. Im Hinblick auf Deutschland muss man außerdem sagen, dass wir durch die Offenhaltung der Praxen und den Rettungsschirm im internationalen Vergleich mit am besten dastehen. Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir Leben und Arbeiten bei weiteren Infektionsgeschehen meistern werden. 

Vielen Dank für das Interview!